Grundsicherung wieder auf Aktivierung in Arbeit ausrichten – Bürgergeld reformieren

Über 5 Millionen Menschen in Deutschland, über 400.000 in Hessen werden von den Jobcentern mit Grundsicherung für Arbeitsuchende unterstützt. Entscheidend für die Überwindung der Hilfebedürftigkeit ist die Aufnahme von Arbeit, und das möglichst vollzeitnah.

Aktualisiert am: 25.06.2024 16 Min. Lesezeit

Zusammenfassung

Über 5 Millionen Menschen in Deutschland, über 400.000 in Hessen werden von den Jobcentern mit Grundsicherung für Arbeitsuchende unterstützt. Entscheidend für die Überwindung der Hilfebedürftigkeit ist die Aufnahme von Arbeit, und das möglichst vollzeitnah. Die Jobcenter unterstützen bei vielfältigen Problemlagen – von fehlender Qualifikation oder Sprachkenntnissen, über Kinderbetreuung bis Gesundheitsproblemen. Die Grundsicherung muss so ausgestaltet sein, dass die Ansprüche der erwerbsfähigen Leistungsbezieher auf Existenzsicherung das Ziel der Arbeitsaufnahme nicht konterkarieren und die finanzierende Solidargemeinschaft nicht überfordern.

Die Bürgergeld-Reform Anfang 2023 hat dagegen Arbeitsanreize geschwächt, Sozialleistungen ausgeweitet und neue Brücken in die Frühverrentung gebaut. Das ist eine grundlegende Fehlentwicklung, die rasch korrigiert werden muss.

Wenn etwa im ersten Jahr des Bürgergeldbezugs Vermögen von 85.000 Euro für eine vierköpfige Familie nicht angerechnet und die Mietkosten für eine Wohnung unbegrenzt hoch gezahlt werden, hilft der Sozialstaat Menschen, denen nicht vorrangig geholfen werden sollte. Die großzügigere Übernahme von Wohnkosten ist abzulehnen, weil dies insgesamt die Mieten nach oben treibt. Denn in vielen Regionen liegen die von den Jobcentern übernommenen Wohnkosten schon heute weit oberhalb der dort üblichen durchschnittlichen Mietkosten. Das gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern verschärft die Lage auf dem Wohnungsmarkt für Gering- und Durchschnittsverdiener.

Zudem werden durch großzügigere Bürgergeldleistungen Arbeitsanreize vernichtet, da viele Haushalte im mittleren bis niedrigen Einkommensbereich nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben vielfach kaum mehr Einkommen haben als Leistungsempfänger, deren Bürgergeld diese Steuerzahler mitfinanzieren. In Ballungsräumen können die Leistungsansprüche einzelner Bürgergeld-Haushalte schnell 3.000 Euro oder mehr betragen.

Hinzu kommt die starke Einschränkung von Reaktions- bzw. Sanktionsmöglichkeiten der Jobcenter bei Pflichtverletzungen des Bürgergeldbeziehers. Jobcenter können selbst Totalverweigerer nur mit unverhältnismäßig hohem bürokratischem Aufwand zur Mitwirkung anhalten. Dementsprechend sind die von den Jobcentern verhängten Sanktionen hessenweit in den letzten Jahren um rund 75 Prozent eingebrochen. Und trotz hessenweit 100.000 offenen Stellen, darunter viele auch im Helferbereich, nehmen messbar weniger Bürgergeldbezieher eine Arbeit auf. Ein solches weitgehend bedingungsloses Grundeinkommen widerspricht dem grundlegenden Sozialstaatsprinzip, wonach die Solidargemeinschaft erst dann unterstützt, wenn der Einzelne der Hilfe bedarf.

Im Ergebnis finanzieren Steuerzahler, die vielfach selbst über kein nennenswertes Vermögen verfügen, den erweiterten Vermögenserhalt von Bürgergeldbeziehern. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht. Sozialstaatliches Handeln sollte sich vielmehr darauf konzentrieren, das Existenzminimum solcher Personen abzusichern, die tatsächlich bedürftig sind. Dies gilt umso mehr in einer Zeit mehrjähriger, nicht ausgestandener Krisen, die mit Wohlstandsverlusten und Belastungen für fast alle einhergehen, etwa durch stark gestiegene Energiepreise.

Mit dem Bürgergeld besteht zudem die Gefahr, dass die Leistungsausweitungen direkt für Frühverrentungen genutzt werden. Denn durch den 24-monatigen Arbeitslosengeldbezug für Ältere in Verbindung mit dem großzügigen Vermögensschutz während der Karenzzeit im Bürgergeldbezug und den Verzicht auf die Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlag, wird eine dreijährige Brücke in die abschlagfreie Rente gebaut. Auch bei allen anderen Arbeitslosengeldbeziehern fallen Anreize weg, zügig den Leistungsbezug durch Aufnahme einer Beschäftigung zu beenden.

Vor dem Hintergrund von Arbeits- und Fachkräftemangel sind diese Anreize zum Verharren im Leistungsbezug und die Frühverrentungsbrücke fatale Fehlentscheidungen. Arbeitsmarktpolitisch richtig ist das Gegenteil – also die Beibehaltung des erfolgreichen Grundsatzes von Fördern und Fordern sowie substantiell verbesserte Anrechnungsregeln beim Hinzuverdienst. Die Aufnahme und die Ausweitung von Beschäftigung muss sich mehr lohnen.

Die Fehlkonstruktion des Bürgergelds ist obendrein noch teuer: Allein im Jahr 2023 hat das Bürgergeld Mehrausgaben von rund 3,5 Mrd. Euro verursacht. Bis zum Jahr 2026 sollen sich die Mehrausgaben auf bis zu 5,8 Mrd. Euro summieren (Bürgergeld-Gesetzentwurf). Hierbei ist aber noch nicht einmal der volkswirtschaftliche Schaden durch Entzug von Beschäftigung am Arbeitsmarkt berücksichtigt, der z. B. durch Frühverrentung und fehlende Aktivierung entsteht. Die Ausweitung des Vermögensschutzes und die vermutete Angemessenheit von Mietwohnungen im ersten Jahr des Leistungsbezugs kommen Bund, Länder und Kommunen bereits jetzt teuer zu stehen.

Das funktionierende System der Grundsicherung wurde mit dem Bürgergeld ohne Not und offenbar aus parteitaktischen Gründen entkernt. Dabei war das SGB-II-System vor Einführung des Bürgergelds sehr leistungsfähig: Seit 2006 ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB II in Hessen auch durch gute Arbeit der Jobcenter um rund 50.000 Personen gesunken (Jahresdurchschnitte 2006, 2022). Das ist ein beachtlicher Erfolg, der nur fortgesetzt werden kann, wenn es auch künftig gelingt, Leistungsbezieher konsequent zu aktivieren und in Arbeit zu vermitteln. Hierfür braucht es wieder einen Rechtsrahmen, der das Prinzip „Fördern und Fordern“ im Sinne einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik stärker in den Mittelpunkt rückt.

Bis dahin müssen Landesregierung, Landräte und Oberbürgermeister am Prinzip des Förderns und Forderns soweit als möglich festhalten und so den Jobcenter und ihren Mitarbeitern den Rücken bei ihrer schwierigen Arbeit stärken.

Auch die Bezeichnung „Bürgergeld“ ist verfehlt, weil damit ein bedingungsloses Grundeinkommen suggeriert wird. Er sollte wieder ersetzt werden durch „Arbeitslosengeld II“ oder einen ähnlichen Begriff, der den Charakter einer Grundsicherung, die mit verpflichtenden Anstrengungen zur Arbeitsaufnahme verbunden ist, deutlich macht.

Die VhU fordert

  • Hessische Jobcenter müssen weiter „Kurs auf Beschäftigung“ halten und dürfen in ihren Anstrengungen zur Aktivierung, Vermittlung, Qualifizierung und Beratung von Leistungsbeziehern nicht nachlassen. Hierzu gehören auch regelmäßige Einladungen zu persönlichen Gesprächen.
  • Ziel einer Grundsicherung für erwerbsfähige Menschen muss immer die Integration in Beschäftigung und Ausbildung sein. Weiterbildung ist wichtig, darf aber nicht „ins Blaue hinein“ erfolgen, sondern möglichst arbeitsmarktnah und – wo möglich – berufsbegleitend.
  • Es braucht wieder einfachere und spürbare Sanktionen. Wer Mitwirkungspflichten verletzt, wie etwa den Nachweis von Eigenbemühungen oder das Erscheinen zu Vermittlungsgesprächen, dessen Bürgergeld-Regelsatz sollte im ersten Schritt um 30 Prozent gekürzt werden.
  • Das Schonvermögen sollte auf 5.000 Euro reduziert werden. Die Karenzzeit für die unbegrenzte Wohnkostenübernahme sollte abgeschafft werden.
  • Es braucht bessere Hinzuverdienstanreize. Diese müssen so ausgestaltet sein, dass kleine Einkommen stärker und höhere Einkommen weniger stark auf existenzsichernde Leistungen angerechnet werden. Hierbei muss auch das Zusammenspiel mit anderen Sozialleistungen, insbesondere dem Wohngeld, bedacht werden.
  • Auch für Bürgergeldbezieher mit betreuungspflichtigen Kindern von unter drei Jahren ist ein (Wieder-)Einstieg in Arbeit regelmäßig nach einem Jahr zumutbar, wie dies auch für Erwerbstätige beim Elterngeld gilt.
  • Der verfehlte Begriff „Bürgergeld“ sollte ersetzt werden durch „Arbeitslosengeld II oder einen ähnlich treffenden Begriff.

Im Einzelnen

Aktivierende Arbeitsmarktpolitik wirkt

Die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, wie sie vor der Bürgergeld-Reform ausgestaltet war, war insgesamt ein Erfolgsmodell. Seit ihrer Einführung im Jahr 2005 hatte sie erheblichen Anteil daran, dass die Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Arbeitsmarktchancen Anfang der 2000er-Jahre überwunden werden konnten. Deutschland galt damals mit rund 4,9 Mio. Arbeitslosen und einer Arbeitslosenquote von knapp 12 Prozent als „kranker Mann Europas“. Rund 20 Jahre später und einiger Krisen zum Trotz hat sich die Arbeitslosenquote mehr als halbiert. Die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im SGB II ist seit 2006 bundesweit um über 1,5 Mio. Personen (-30 Prozent) zurückgegangen. Zwar konnte auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Hessen seit 2006 zunächst um rund 50 Prozent reduziert werden. Leider ist dieser positive Trend jedoch seit Frühjahr 2023 wieder gebrochen: allein zwischen April 2023 und April 2024 stieg die Zahl der Langzeitarbeitslosen um über 15 Prozent an.

Daher braucht es dringend wieder eine Rückkehr zu einer stärker aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, die den Einzelnen befähigt und ermuntert, Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft zu überwinden. Denn eine schnelle und nachhaltige Eingliederung in Arbeit ist auch zum Vorteil der Leistungsbezieher, da diese langen Phasen der Erwerbslosigkeit mit immer schlechteren Eingliederungschancen vorbeugt. Das „alte“ Grundsicherungssystem stand dabei zu Unrecht unter Dauerkritik von Soziallobbyisten. Die große Mehrzahl der Leistungsbezieher beurteilte die Arbeit der Jobcenter positiv: rund zwei Drittel der Leistungsbezieher waren voll und ganz oder eher zufrieden damit, wie das Jobcenter mit ihnen umging (Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, 2020).

Hessische Jobcenter müssen weiter „Kurs auf Beschäftigung“ halten

Bundesagentur für Arbeit, Land und Kommunen müssen sicherstellen, dass das Bürgergeld mit seinen verringerten Sanktionsmöglichkeiten nicht dazu führt, dass Jobcenter (gemeinsame Einrichtungen und kommunale Jobcenter) in ihren Bemühungen zur Aktivierung, Vermittlung, Qualifizierung und Beratung von Leistungsbeziehern nachlassen. Das Hessische Sozialministerium hat durch Rechts- und Fachaufsicht eine direkte Einwirkungsmöglichkeit auf die 16 kommunalen hessischen Jobcenter (von insgesamt 26 hessenweit). Das Sozialministerium muss darauf hinwirken, dass Eingliederungskonzepte in den Jobcentern einheitliche Anwendung finden und diese regelmäßig auf ihren Erfolg hin überprüfen und ggf. anpassen. Leistungsbezieher müssen eng begleitet und unterstützt werden, wo sinnvoll, auch durch aufsuchende Beratung. Beratungsgespräche sollten wieder regelmäßig persönlich stattfinden. Dies dient auch der Aktivierung und Vorbereitung auf das Berufsleben. Ein regelmäßiger, intensiver Kontakt erschwert es, dass einzelne Leistungsbezieher Bürgergeld beziehen und sich „schwarz“ etwas dazu verdienen.

Vorrang für Vermittlung

Mit Einführung des Bürgergelds wurde der sogenannte Vermittlungsvorrang in Arbeit abgeschafft. Dies war und ist ein fatales Signal und kann im Zusammenspiel mit den übrigen Bürgergeld-Regelungen Arbeitslosigkeit verlängern. Ziel einer Grundsicherung für erwerbsfähige Menschen muss immer die rasche Integration in Beschäftigung und Ausbildung sein, damit Hilfebedürftigkeit überwunden werden kann. Zwar ist Weiterbildung wichtig, da mangelnde Qualifikation ein wesentliches Hindernis bei der Vermittlung darstellt. Sie ist aber kein Allheilmittel und sollte nur gezielt eingesetzt werden. Eine Qualifizierung „ins Blaue hinein“ muss unbedingt unterbleiben. Bei Bedarf sollte „on the job“ im Betrieb qualifiziert werden, zum Beispiel mit Teilqualifizierungen. Wenn dagegen eine Integration in Arbeit aus gesundheitlichen Gründen perspektivisch nicht möglich ist, dann ist die betroffene Person nicht erwerbsfähig und eine Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht das richtige System.

Effektiven Sanktionsmechanismus wiedereinführen

Mit der Einführung des Bürgergelds wurden die Sanktionen gegenüber Leistungsbeziehern ohne nachvollziehbaren Grund massiv – und noch über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16) hinaus – eingeschränkt. Dies hat bereits Spuren hinterlassen: nach einer Befragung unter rund 2.000 Jobcenter-Mitarbeitern berichtet die Mehrzahl seit Einführung des Bürgergelds von einer schlechteren Erreichbarkeit, Motivation und Mitwirkung der Leistungsbezieher. Konsequenterweise lehnen rund drei Viertel der befragten Jobcenter-Mitarbeiter die neue Bürgergeld-Sanktionspraxis ab (DIW Wochenbericht 17 / 2024).

Derzeit können Jobcenter bei fehlender Mitwirkung in einem ersten Schritt nur noch eine Kürzung von 10 Prozent des Regelbedarfs vornehmen – befristet auf einen Monat. Bei mehreren Verstößen kann eine Kürzung von max. 30 Prozent für drei Monate erfolgen. Zwar gibt es seit März 2024 eine neue Sanktionsmöglichkeit für sogenannte Totalverweigerer. Diese ist jedoch viel zu kompliziert und mit vielen Ausnahmen versehen und wird daher in der Praxis kaum Wirkung entfalten.

Hier braucht es schnell eine Kehrtwende, denn die Arbeitsmarktforschung zeigt eindeutig, dass Sanktionen mit Verhaltensänderungen und verstärkten Bemühungen um die Aufnahme einer Erwerbsarbeit einhergehen (vgl. etwa Bruckmeier et al., IAB-Stellungnahme 5/2018). Zudem zeigen Sanktionen erwiesenermaßen auch Wirkung über den kleinen Kreis der Sanktionierten hinaus. Hingegen führt eine Abschwächung von Sanktionen – wie etwa durch das "Sanktionsmoratorium" 2022 und die Bürgergeld-Reform – zu messbar weniger Arbeitsaufnahmen (IAB-Discussion Paper 7/2024).

Aus diesem Grund muss der Gesetzgeber den Jobcentern dringend wieder ein effektiver Sanktionsmechanismus an die Hand geben. Bei fehlender Mitwirkung in Form von Meldeversäumnissen sollte gleich zu Beginn der Regelsatz um 30 Prozent gekürzt werden. Bei Leistungsbeziehern, die eine Mitwirkung beharrlich, willentlich und ohne nachvollziehbaren Grund verweigern, sollten Leistungen auch vollständig gekürzt werden können und dabei auch die Kosten der Unterkunft und Heizung umfassen. Das hält auch das Bundesverfassungsgericht für möglich. Die Leistungskürzung sollte so lange greifen, wie zumutbare Arbeit oder Maßnahmen nicht angenommen werden.

Bei alldem ist zu beachten: Die Mitarbeiter in den Jobcentern gehen verantwortungsbewusst mit Sanktionen um. Nur ein geringer Teil der Leistungsbezieher wird sanktioniert; rund 97 Prozent der Leistungsbezieher erhalten keine Sanktionen. Für die wenigen „Totalverweigerer“ müssen spürbare Leistungskürzungen aber gerade auch in den ersten Monaten möglich sein. Denn von der Sanktionsdrohung an sich geht bereits eine Anreizfunktion zur Einhaltung bestimmter „Spielregeln“ aus. Zudem liegt keine Bedürftigkeit vor, wenn ohne wichtigen Grund die Aufnahme einer zumutbaren Beschäftigung verweigert wird. Denn Leistungsberechtigte haben es dann selbst in der Hand, ihre Existenz durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit mit der Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung hingewiesen.

Es ist und bleibt richtig, für eine von der Allgemeinheit finanzierte Unterstützung eine Gegenleistung der hilfebedürftigen Person zu erwarten und zu verlangen. Die Mitwirkung der Leistungsbezieher kann daher nicht im eigenen Gutdünken liegen, sondern muss klar formuliert sein und dann durchgesetzt werden können. Das dient dem Einzelnen wie der steuerzahlenden Gesellschaft.

Vermögensschutz wieder auf notwendiges Maß begrenzen

Mit dem Bürgergeld wurde auch eine Karenzzeit mit einem u. a. deutlich ausgeweiteten Vermögensschutz eingeführt. Im ersten Jahr des Leistungsbezugs wird nur „erhebliches“ Vermögen berücksichtigt. Damit kann ein Leistungsbezieher trotz Bürgergeldbezugs bis zu 40.000 Euro an Vermögen behalten. Jeder weiteren Person in der Bedarfsgemeinschaft stehen bis zu 15.000 Euro zu. Außerdem gilt eine gesetzliche Vermutung, wonach kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn der Antragsteller dies im Antrag erklärt (§ 12 Abs. 4 S. 3 SGB II). Hinzu kommt noch anrechnungsfreies Vermögen wie etwa ein angemessenes KFZ, ein Hausgrundstück, eine Eigentumswohnung oder Rücklagen für die Altersvorsorge.

Diese massive Erhöhung von Schonvermögen im ersten Jahr des Leistungsbezugs ist ungerecht gegenüber den vielen steuerzahlenden Normalverdienern, die ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten müssen. Mit der Karenzzeit verabschiedet sich das Bürgergeld vom Zweck der Existenzsicherung und dem Bedürftigkeitsprinzip. Im Ergebnis unterstützt der Staat mit Mitteln der Steuerzahler Menschen, die nicht bedürftig sind. Wer als Paar mit zwei Kindern über ein Vermögen von 85.000 Euro nebst KFZ und Wohneigentum verfügt, ist nicht auf Sozialleistungen angewiesen. Künftig müssen sich existenzsichernde Leistungen wieder stärker auf wirklich Bedürftige konzentrieren. Das Prinzip der Eigenverantwortung muss wieder stärker zum Tragen kommen. Ein Schonvermögen von 5.000 Euro ist ausreichend, wer mehr hat, sollte keine Leistungen zur Existenzsicherung erhalten.

Karenzzeit für Mietkosten abschaffen

Zudem gilt innerhalb des ersten Jahres des Leistungsbezugs auch eine Karenzzeit für die Übernahme der Mietkosten. Das Jobcenter übernimmt in diesem Zeitraum also auch die Miete für eine unangemessen große oder teure Wohnung. Eine unbegrenzte Übernahme der Unterkunftskosten treibt aber gerade in einem angespannten Wohnungsmarkt die Mieten weiter in die Höhe. Schon heute lassen die hohen Mieten in Ballungsräumen die Leistungsansprüche einzelner Haushalte auf über 3.000 Euro ansteigen. Das ist vielen Normalverdienern, die ihre Miete und Heizkosten selbst zahlen müssen, schwer zu vermitteln. In vielen Regionen liegen die von den Jobcentern übernommenen Wohnkosten zudem weit oberhalb der dort üblichen durchschnittlichen Mietkosten. So kostet in München der vom Jobcenter bezahlte Quadratmeter über 50 Prozent mehr, im Hochtaunuskreis sind es mehr als 30 Prozent (Pestel Institut gGmbH Hannover 2024). Durch die Übernahme hoher Mieten werden Preise im unteren Marktsegment definiert. Das gefährdet nicht nur den sozialen Frieden, sondern verschärft die Lage auf dem Wohnungsmarkt für Gering- und Durchschnittsverdienende. Daher müssen Größe und Kosten der Wohnung weiter vom ersten Tag des Leistungsbezugs an berücksichtigt werden. Die Karenzzeit für eine unbegrenzte Übernahme der Wohnkosten gehört abgeschafft.

Bessere Hinzuverdienstanreize setzen

Erwerbsanreize müssen so ausgestaltet sein, dass es sich lohnt, sich aus dem Leistungsbezug herauszuarbeiten. Kleine Einkommen müssen stärker und höhere Einkommen weniger stark auf existenzsichernde Leistungen angerechnet werden. Derzeit bestehen insbesondere bei hohen Wohnkosten nur geringe Anreize, die Erwerbstätigkeit auszuweiten. Einem Paar in München etwa, das das Brutto-Haushaltseinkommen von 3.000 Euro auf 5.000 Euro steigert, bleiben weniger als 100 Euro mehr netto übrig (ifo Schnelldienst 2024, 77(01)). Das motiviert nicht. Hier müssen mehr Anreize geschaffen und andere Unterstützungssysteme, wie das Wohngeld mitbedacht werden. Für mehr Netto vom Brutto braucht es außerdem nachhaltige und ausgabensenkende Strukturreformen in den Sozialversicherungen, die den Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf unter 40 Prozent begrenzen. Sozialversicherungsbeiträge fallen anders als Steuern auch für Geringverdienende an. Je höher sie sind, desto attraktiver kann bei den falschen Rahmenbedingungen der Bezug von Sozialleistungen sein. Notwendig ist deshalb, die Hinzuverdienstgrenzen so zu verändern, dass sich die Ausweitung der Erwerbsarbeit deutlich mehr lohnt und damit auch der Wechsel aus einem Minijob in eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung attraktiver wird.

Bürgergeld fördert arbeitsmarktschädliche Frühverrentung

Der Wegfall der Pflicht, SGB-II-Leistungen auch durch eine vorgezogene Altersrente mit Abschlägen zu vermeiden, ist eine gesetzgeberische Fehlkonstruktion. Nicht nur wird der wichtige Grundsatz des Nachranges von Fürsorgeleistungen durchbrochen. Gleichzeitig wird auch eine arbeitsmarktschädliche Frühverrentung gefördert durch die mögliche Kombination von Arbeitslosengeld und Bürgergeld über insgesamt drei Jahre. An zwei Jahre Arbeitslosengeldbezug für Ältere aus der Arbeitslosenversicherung könnte dann ein weiteres Jahr Bürgergeldbezug anknüpfen – mit weitgehenden Vermögensfreibeträgen, ohne Überprüfung der Angemessenheit der Wohnung und ohne eine frühzeitige Abschlagsrente in Kauf nehmen zu müssen. Eine derartige Brücke in die abschlagsfreie Rente kann Anreize für Ältere schaffen, früher die Erwerbstätigkeit aufzugeben. Angesichts des vorherrschenden Arbeits- und Fachkräftemangels ist es gänzlich unverständlich, dass die Erwerbsbeteiligung Älterer so bewusst und gezielt behindert wird.

Erwerbspotenzial von Frauen besser nutzen

Das Erwerbspotenzial von Frauen mit Kindern unter drei Jahren muss – auch aus dem Bürgergeldbezug heraus – besser genutzt und sichtbar gemacht werden. Während viele Alleinerziehende und Familien sich zumeist nach einem Jahr Elternzeit neben ihrer Erwerbstätigkeit um die Kinderbetreuung kümmern müssen, brauchen Bürgergeldbezieher sich weiterhin bis zum dritten Lebensjahr des Kindes nicht um eine Integration in den Arbeitsmarkt bemühen (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II) und zählen auch nicht als arbeitslos. Diese Privilegierung von Leistungsempfängern ist nicht nachvollziehbar und insbesondere deshalb problematisch, weil lange Phasen der Erwerbslosigkeit die Chancen auf eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration reduzieren und Rentenansprüche verringern.

Bezeichnung „Bürgergeld“ ist irreführend und muss geändert werden

Die Bezeichnung „Bürgergeld“ ist verfehlt und irreführend, weil damit ein bedingungsloses Grundeinkommen suggeriert wird. Die vom Steuerzahler finanzierte Bedürftigkeitsleistung ist und bleibt jedoch eine Grundsicherung, die mit verpflichtenden Anstrengungen zur Arbeitsaufnahme verbunden ist. Die Bezeichnung sollte wieder ersetzt werden durch „Arbeitslosengeld II“ oder einen ähnlichen Begriff, der den Charakter einer Grundsicherung deutlich macht.

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Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

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