Arbeitsunfähigkeit - Zeiten der Arbeitsunfähigkeit reduzieren, Gesundheit verbessern

Die Ausgaben der Arbeitgeber für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall inklusive der zu zahlenden Beiträge zur Sozialversicherung sind allein für gesetzlich Krankenversicherte auf rund 77 Mrd. Euro im Jahr 2021 gestiegen und steigen weiter

Aktualisiert am: 09.05.2024 10 Min. Lesezeit

Zusammenfassung

Im Jahr 2021 entfielen in Deutschland insgesamt über 637 Millionen Arbeitstage aufgrund von arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern (Gesundheitsberichterstattung des Bundes). Für die Arbeitgeber ist der vorübergehende oder dauerhafte Ausfall von Mitarbeitern mit erheblichen Kosten verbunden. Denn sie müssen das Arbeitsentgelt im Krankheitsfall regelmäßig bis zu sechs Wochen innerhalb eines Jahres wegen derselben Erkrankung weiterzahlen, bei weiteren Erkrankungen aus anderen Gründen auch deutlich länger.

Die Ausgaben der Arbeitgeber für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall inklusive der zu zahlenden Beiträge zur Sozialversicherung sind inzwischen allein für gesetzlich Krankenversicherte auf rund 77 Mrd. Euro p. a. angestiegen (2021; in Hessen ca. 6 Mrd. Euro) und haben sich damit gegenüber 2006 (22,6 Mrd. €) mehr als verdreifacht – Tendenz weiter steigend (IW Köln). Damit ist Entgeltfortzahlung die teuerste allein vom Arbeitgeber finanzierte Sozialleistung. Die Arbeitgeber haben ein hohes Interesse an der Gesundheit ihrer Arbeitnehmer und daran, dass Arbeitsunfähigkeit nur dann vom Arzt attestiert wird, wenn diese tatsächlich vorliegt.

Um die Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sicherzustellen, sollten Ärzte wie vorgeschrieben durchgehend nach der konkreten Tätigkeit des Patienten fragen. Denn maßgeblich ist immer die zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit. Nicht jede Erkrankung bedeutet zwangsläufig, dass der Erkrankte seiner Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann.

Da der Großteil der jährlich rund 40 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf Kurzzeiterkrankungen entfällt, sollte geprüft werden, ob nicht zur Entlastung der Arztpraxen eine Verlagerung der Bescheinigungstätigkeit auf besonders damit betraute Ärzte erfolgen sollte.

Durch den ab 01.01.2023 verpflichtenden Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) dürfen Arbeitgebern keine Nachteile entstehen. Insbesondere muss der Arbeitnehmer bei  Störfällen im elektronischen Verfahren gesetzlich verpflichtet werden, dem Arbeitgeber eine Papierbescheinigung vorzulegen. Weiterhin müssen Kassenärztliche Vereinigung Hessen und Hessische Ärztekammer verstärkt darauf hinwirken, dass alle Ärzte ihrer gesetzlichen Pflicht zur elektronischen Übermittlung auch nachkommen. Zur Zeit werden nur rund 90 Prozent der Bescheinigungen vom Arzt elektronisch übermittelt. Die fehlenden 10 Prozent verursachen Verzögerungen und Mehraufwand bei Krankenkassen und Arbeitgebern. Zudem muss für Arbeitgeber aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – wie vor Umstellung des Verfahrens – künftig wieder der ausstellende Arzt erkennbar sein.

Gleichzeitig sollte auch die Aufsicht über die ärztliche Bescheinigungstätigkeit verbessert werden. Diese wurde bisher von der gemeinsamen Prüfungsstelle der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung so gut wie nicht wahrgenommen und sollte deshalb auf den Medizinischen Dienst (MD) übertragen werden. Neben anlassbezogenen Prüfungen sollte der MD mit einer Zufallsstichprobe die ärztliche Tätigkeit bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen prüfen. Auf dieser Grundlage sollte die Landesärztekammer bei Ärzten, die zu Unrecht, zu häufig oder zu lange krankschreiben berufsrechtliche Konsequenzen prüfen. Der im Jahr 2019 ohne Begründung abgeschaffte Schadenersatzanspruch von Krankenkassen und Arbeitgeber gegen Ärzte bei vorsätzlich oder grob fahrlässig falscher Feststellung von Arbeitsunfähigkeit muss vom Bundesgesetzgeber wieder eingeführt werden. Wenn Arbeitgeber Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters haben, können sie aktuell nur dann den Medizinischen Dienst einschalten, wenn der Arbeitnehmer gesetzlich krankenversichert ist.

Bei privat krankenversicherten Arbeitnehmern fehlt eine solche Überprüfungsmöglichkeit. Deshalb sollte der Gesetzgeber auch die privaten Krankenversicherungen verpflichten, den Arbeitgebern eine Möglichkeit zur Überprüfung anzubieten.

Erkrankt ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, müssen die behandelnden Ärzte sowie die Leistungsträger im Gesundheits- und Reha-Bereich alle notwendigen Schritte in die Wege leiten, damit seine Gesundheit möglichst schnell wieder so hergestellt werden kann, dass er an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. Hierfür braucht es schnelle Akutbehandlungen und funktionierende Übergänge in die Reha, was jedoch in der Praxis zu oft nicht gelingt. Kassenärztliche Vereinigung Hessen und Hessische Krankenhausgesellschaft müssen Ärzte und Krankenhäuser hierzu offensiver informieren.

Ebenso muss die Zusammenarbeit der Reha-Träger (Rentenversicherung, Krankenkassen, Unfallversicherungsträger, Arbeitsagenturen, Träger der Eingliederungshilfe und Integrationsamt) untereinander aber auch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern verbessert und die Wiedereingliederung am Arbeitsplatz bzw. in den Betrieb gestärkt werden. Insbesondere muss die stufenweise Wiedereingliederung vom behandelnden Arzt, wo sinnvoll, vorgeschlagen werden. Die tatsächliche Umsetzung muss jedoch alleine in den Händen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleiben, damit diese bei z. B. bei fehlender Belastbarkeit jederzeit die Möglichkeit haben, die Eingliederung abzubrechen.

Jeder Einzelne ist für seine Gesundheit und den Erhalt seiner Arbeitsfähigkeit selbst verantwortlich und gefordert, auf gesunde Verhaltensweisen wie ausreichende Bewegung, gute Ernährung, einen angemessenen Umgang mit Genussmitteln und eine ausgewogene Lebensweise in Bezug auf Entspannung und Erholung zu achten. Der Gesetzgeber sollte diese Eigenverantwortung durch mehr Kostentransparenz

und eine höhere Selbstbeteiligung der Versicherten wieder stärker ins Bewusstsein rufen. Für ein besseres Kostenbewusstsein sollte die Praxisgebühr wieder eingeführt werden, die zudem bei jedem Arztbesuch erhoben werden sollte.

Die Unternehmen sind zuvorderst dafür verantwortlich, dass vom Arbeitsplatz keine Gefahren für die Gesundheit ausgehen. Darüber hinaus engagieren sich viele Betriebe auch freiwillig für die Gesundheit ihrer Beschäftigten, z. B. mit gesundheitsgerechten Kantinenangeboten oder Betriebssport. Arbeitgeber sollten jedoch auch auf das Verhalten von Führungskräften achten. Denn auch der individuelle Führungsstil kann großen Einfluss darauf haben, wie häufig Mitarbeiter arbeitsunfähig fehlen.

Damit Prävention und Gesundheitsschutz im Unternehmen möglichst wirksam sind, brauchen die Unternehmen neben schlankeren Vorschriften im gesetzlichen Arbeitsschutz auch eine bessere Zusammenarbeit und Vernetzung der im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung aktiven überbetrieblichen Akteure (insbesondere die Krankenkassen untereinander und mit Berufsgenossenschaften und der Rentenversicherung). Neben einer umfassenden Beratung zu allen Gesundheitsangeboten sollten diese auch Ansätze zur Messbarkeit der Qualität von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung entwickeln und spezielle Angebote für kleine und mittlere Unternehmen schaffen.

Die hessische Landesregierung sollte die Präventionsanstrengungen der Unternehmen unterstützen, indem sie sich im Bund für bessere steuerliche Rahmenbedingungen einsetzt. Die Landesärztekammer muss für eine gute und schnelle arbeitsmedizinische Aus- und Weiterbildung sorgen. Mit einer Änderung der DGUV-Vorschrift 2 könnten Aufgaben im Arbeitsschutz außerdem auch an Experten anderer Fachrichtungen vergeben werden. Dies kann entscheidend dazu beitragen, die Lücke zwischen dem Angebot an Betriebs

und Arbeitsmedizinern und der Nachfrage der Betriebe nach betriebsärztlicher Betreuung für ihre Beschäftigten zu schließen. Schlussendlich sollte Hessen im Bundesrat die Abschaffung der Teilnahmepflicht am Umlageverfahren U1 fordern, damit Kleinunternehmen, die sich erfolgreich für den Gesundheitsschutz engagieren, hiervon durch einen niedrigen Krankenstand profitieren können, ohne zwangsweise die höheren Krankenstände anderer Unternehmen mitfinanzieren zu müssen.

Im Einzelnen

I.  Arbeitsunfähigkeit richtig prüfen, Arbeitgeberrechte stärken

1. Arbeitsunfähigkeit nach ausgeübter Tätigkeit beurteilen

Nicht jede Erkrankung führt zwangsläufig dazu, dass der Erkrankte nicht seiner Tätigkeit nachgehen kann. Trägt ein Arbeitnehmer einen Gehgips und hat sonst keine weiteren Beeinträchtigungen, ist er für körperliche Tätigkeiten oder solche, die ständiges Stehen oder Gehen voraussetzen (zum Beispiel Maurer oder Verkäufer), arbeitsunfähig. Bei einer sitzenden Tätigkeit (zum Beispiel Büroangestellter) kann jedoch durchaus Arbeitsfähigkeit bestehen. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer durch neue Möglichkeiten des mobilen Arbeitens auch von zuhause aus tätig sein kann bzw. Gleitzeitregelungen und weitere Arbeitszeitmodelle ein Weiterarbeiten ermöglichen.

Ärzte müssen daher vor Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit nach der ausgeübten Tätigkeit fragen. Hierzu sind sie bereits heute verpflichtet (§ 2 Abs. 5 Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie). In der Praxis weiß der Arzt aber oft nichts über den Arbeitsplatz seines Patienten. Dies führt nicht nur dazu, dass in einigen Fällen ungerechtfertigterweise Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, es werden auch wichtige Informationen zum Arbeitsplatz, die für Prävention und Rehabilitation genutzt werden können, nicht erhoben. Hier bietet sich insbesondere das Betriebliche Eingliederungsmanagement für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und eine abgestimmte, ärztlich unterstützte Rückkehr in den Betrieb an.
Erhält die Landesärztekammer Hessen Kenntnis von Auffälligkeiten bei der Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit durch einzelne Ärzte, muss sie Ermittlungen durchführen. Mögliche Konsequenzen reichen von einer Rüge über die Auflage sozialer Tätigkeiten oder Spenden bis zur Einleitung eines berufsrechtlichen Verfahrens (§§ 57 ff. Hessisches Heilberufsgesetz). Die Kassenärztliche Vereinigung Hessen sollte ihre Mitglieder für die große Bedeutung einer korrekten Feststellung der Arbeitsunfähigkeit besonders sensibilisieren.

2. Fortsetzungserkrankungen bei Entgeltfortzahlung rechtssicher klären

Arbeitnehmer haben Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Erkrankung für bis zu sechs Wochen. Eine Fortsetzungserkrankung, die in den Sechs-Wochen-Zeitraum einzubeziehen ist, liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer erneut an derselben Krankheit erkrankt, d.h. es handelt sich um dieselbe Grundkrankheit bzw. dasselbe Grundleiden. Beruht die jeweilige Arbeitsunfähigkeit jedoch auf unterschiedlichen Erkrankungen, können auch mehrere, voneinander unabhängige Entgeltfortzahlungszeiträume entstehen.

Für Arbeitgeber ist es jedoch nahezu unmöglich festzustellen, ob eine erneute Arbeitsunfähigkeit auf derselben (Fortsetzungserkrankung bzw. Vorerkrankung) oder einer neuen Erkrankung beruht. Sie sind deshalb auf Auskünfte der jeweiligen Krankenkasse angewiesen. Denn nur die Krankenkasse erhält von den behandelnden Ärzten die Diagnosen, die die Arbeitsunfähigkeit begründen. In der Praxis muss der Arbeitgeber elektronisch bei der Krankenkasse anfragen, ob anrechenbare Vorerkrankungen vorliegen. Die Krankenkasse meldet dann alle relevanten Vorerkrankungszeiten mit der Angabe, ob diese anrechenbar oder nicht anrechenbar sind, zurück. Bei der Einschätzung, ob eine Vorerkrankungszeit „anrechenbar“ oder „nicht anrechenbar“ ist, muss sich der Arbeitgeber jedoch auf die jeweilige Einschätzung der Krankenkasse verlassen. Damit Arbeitgeber nicht ungerechtfertigte Entgeltfortzahlungen leisten, sollte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MD) die Korrektheit der von den Krankenkassen beurteilten Neu- bzw. Folgeerkrankungszeiten regelmäßig überprüfen, um die Krankenkassen noch stärker zur Fehlerminimierung zu motivieren.

Krankenkassen müssen aber insbesondere auch in solchen Fällen genau hinsehen, in denen Versicherte nach Ablauf des 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums für einen kurzen Zeitraum arbeitsfähig sind und dann mit einer neuen Diagnose einen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung erwerben. Hier stellt sich vielfach die Frage, ob die Ursprungserkrankung bereits ausgeheilt ist bzw. ob noch ein Zusammenhang zum „Grundleiden“ besteht. Zweifel können insbesondere dann angebracht sein, wenn die verschiedenen Diagnosen von unterschiedlichen oder räumlich weit voneinander entfernten Ärzten ausgestellt werden ohne dass hierfür ein erkennbarer Sachgrund besteht. Bei Missbrauchsverdacht dürfen Krankenkassen hier nicht davor zurückschrecken, den MD einzuschalten. Denn für Arbeitgeber ist der ausstellende Arzt seit der Umstellung auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 01.01.2023 nicht mehr ersichtlich.

Aus Vereinfachungsgründen sollte geprüft werden, ob der Anspruch auf Entgeltfortzahlung gesetzlich nicht einheitlich auf maximal 6 Wochen pro Jahr je Arbeitnehmer festgelegt wird. Dies brächte erhebliche Bürokratie-Entlastungen für Betriebe und Krankenkassen. Nach Ablauf der 6-wöchigen-Entgeltfortzahlung könnten Arbeitnehmer sodann Krankengeld von der Krankenkasse in Anspruch nehmen.

Ansprech­partner

VhU, Landesgeschäftsstelle
Dr. Stefan Hoehl

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

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