Hessische Wirtschaft: Minus 24 Prozent Baugenehmigungen! Politik muss Bauen erleichtern, mehr neue Bauflächen schaffen und auf Markteingriffe verzichten
Wohnungsbaugenehmigungen
Frankfurt am Main. Auf die drastisch gesunkene Zahl an Wohnbaugenehmigungen in 2023 in Hessen reagieren Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft und die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände mit „großer Besorgnis“. Sie rufen die Politik dazu auf, durch Deregulierung und Entbürokratisierung die hohen Baukosten zu senken, auf neue Markteingriffe bei Mietwohnungen zu verzichten und in vielen Städten mehr neue Bauflächen zu schaffen. Laut heute veröffentlichten endgültigen Zahlen des Hessischen Statistischen Landesamtes wurden in Hessen im Jahr 2023 für knapp 19.000 Wohnungen Baugenehmigungen verzeichnet. Das waren rund 6.000 Wohnungen oder 24,2 Prozent weniger als im Jahr 2022. Am aktuellen Rand, im Dezember 2023, wurde zudem mit Baugenehmigungen für nur 1.168 Wohnungen der niedrigste Monatswert seit Februar 2014 (1.132 Wohnungen) verzeichnet.
Thomas Reimann, VhU-Vizepräsident und Vorsitzender des VhU-Bau- und Immobilienausschusses sagte: „Diese Zahlen sind wirtschaftlich und gesellschaftlich besorgniserregend. Der Rückgang der Baugenehmigungen ist nicht nur eine schlechte Nachricht für die Bauwirtschaft, deren Auftragsbücher sich leeren, sondern auch für die Menschen, die eine neue Wohnung suchen. Ebenso für die Arbeitgeber, die mangels Wohnungen immer schwerer neue Mitarbeiter finden. Die Politik muss private Investitionen in neue Wohnungen erleichtern. Die geplanten Verschärfungen des Mietrechts auf Bundesebene würden private Investitionen in neue Wohnungen hemmen und müssen unterbleiben. Außerdem muss Bauen einfacher werden.“
Dr. Burkhard Siebert, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Hessen-Thüringen: „In Hessen sind die Baukosten für neue Wohngebäude von Beginn 2021 bis Ende 2023 um 29,7 Prozent gestiegen. Diese Kosten müssen runter! Das erfordert vor allem, dass nicht unnötig hohe und immer neue Anforderungen an Wohngebäude gestellt werden. Das gilt insbesondere für die Energieeffizienz. Bund und Land sichern immer wieder Entbürokratisierung, vor allem entschlackte Genehmigungsprozesse, zu. Aber konkret umgesetzt wird wenig oder nichts. Wir benötigen jetzt zügig Änderungen des rechtlichen Rahmens, um kurzfristig Impulse zur Stabilisierung des Wohnungsbaus zu liefern. Das heißt unter anderem, dass der Weg für serielles Bauen und Sanieren freigemacht werden muss und bundesweit einheitliche und möglichst digitale Verwaltungsprozesse etabliert werden müssen.“
Rainer von Borstel, Hauptgeschäftsführer des Verbands baugewerblicher Unternehmer Hessen, sagte: „Ein Fokus der Landesregierung sollte auf Deregulierung liegen. Im Koalitionsvertrag ist dies richtigerweise verabredet. Nur ein Beispiel: Die Hessische Verwaltungsvorschrift für Technische Baubestimmungen mit ihren 583 Seiten sollte abgeschafft werden – stattdessen reicht die Mustervorschrift des Deutschen Instituts für Bautechnik mit ‚nur‘ 352 Seiten. Viele Beteiligte am Bau sind auch in anderen Bundesländern tätig. Die Vielzahl an Landesbauordnungen und Verwaltungsvorschriften birgt immer die Gefahr von Fehlanwendungen und erhöht den Aufwand zur Regelbefolgung. Das bindet unnötig Personal und führt zu zusätzlichem Aufwand im Unternehmen.“
Gerald Lipka, Geschäftsführer vom BFW Landesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland, sagte: „Private Bauträger stemmen den größten Anteil des Wohnungsneubaus. Sie sind im besonderen Maße auf private Kunden angewiesen. Durch hohe Baukosten und Zinsen kommt der Wohnungsbau gerade zum Erliegen. Trotzdem verlangen viele Kommunen weiterhin, dass private Investoren den Bau von Kitas und Straßen über die Neubauprojekte mitfinanzieren. Das kann nicht klappen, die Belastungsgrenze ist erreicht.“ Außerdem sagte Lipka: „Viele Kommunen weisen zu wenig Flächen für den Wohnungsbau aus. Bereits die vorherige Landesregierung wollte im Kommunalen Finanzausgleich Anreize für Kommunen zur Ausweisung neuer Bauflächen schaffen. Leider ist das nicht erfolgt. Wir hoffen, dass die neue Landesregierung schnell finanzielle Anreize für Kommunen im KFA setzt, damit sie mehr neue Bauflächen schaffen und damit mehr Wohnungen gebaut werden können.“
Andreas Ostermann, Vorsitzender des Bund Deutscher Baumeister Architekten und Ingenieure Hessen Frankfurt, sagte: „Viele am Bau Beteiligte spüren die Auftragsflaute. Besonders ärgerlich ist das Hin und Her der Bundespolitik. Förderprogramme, die von heute auf morgen leer sind, verursachen Vertrauensverlust. Und mit den Plänen in Brüssel zur Steuerung von CO2-Kreisläufen und der Erstellung von digitalen Gebäudedatenlogbüchern kommt aus der EU auf die Baubranche ein neues Bürokratiemonster zu. Das brauchen wir nicht.“
Hintergrund:
Damit neue Mitarbeiter in der Nähe ihrer Arbeit wohnen können, ist der Wohnungsbedarf in Hessen hoch – auch aus Sicht der Arbeitgeber. Laut Studie des Instituts für Wohnen und Umwelt aus dem Jahr 2020 liegt der Bedarf in Hessen bei 21.000 neuen Wohnungen pro Jahr bis 2040. Das entspricht in etwa den Wohnungsfertigstellungen im Jahr 2022 (21.745 fertiggestellte Wohnungen).
Das Ziel der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr würde für Hessen knapp 30.000 Wohnungen bedeuten, die benötigt würden.