Kommunale Jobcenter: mit mehr Transparenz optimal Fördern und Fordern

Stellungnahme im Rahmen der Regierungsanhörung zum Gesetzentwurf zur Änderung des Hessischen OFFENSIV-Gesetzes vom 20.12.2004, zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 7. Mai 2020 (GVBl. S. 318)

07.02.2023 8 Min. Lesezeit

Vorab

Die Einbeziehung der Kommunen in das Fürsorgesystem Arbeitslosengeld II bleibt richtig und muss optimiert werden. Leider verweigert sich der vorgelegte Gesetzentwurf dieser Aufgabe geradezu, indem er eine Transparenzvorschrift beseitigen will und substantiierte Verbesserungsvorschläge pauschal vom Tisch zu wischen versucht.

Entgegen der Gesetzesbegründung soll mit dem Gesetzentwurf das Ausführungsgesetz des Landes Hessen zum SGB II (Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) neben einer Geltungsverlängerung nicht lediglich „rein redaktionell“ geändert und angepasst werden. Vielmehr soll die „Statistik-Generalklausel“ (§ 11b) abgeschafft werden, auf deren Grundlage wichtige Daten zur Wirkungsforschung von den kommunalen Jobcentern durch das Hessische Statistische Landesamt erhoben werden könnten – wenn sie denn vom Sozialministerium genutzt würde.

Die Gesetzesbegründung, wonach alle relevanten Daten bereits durch die Bundes-agentur für Arbeit erhoben würden, geht fehl. So gibt es beispielsweise keine hessenweiten Daten zur Anzahl des von den kommunalen Jobcentern eingesetzten Personals oder zu Leistungsempfängern in Rehabilitationsmaßnahmen (vgl. etwa die Antworten des Sozialministers vom 22.05.2017 und 15.07.2022 auf Kleine Anfragen, Drs. 19/4666 und 20/8651). Aus diesen und weiteren Daten wäre es Aufgabe des Sozialministeriums und der kommunalen Jobcenter, wichtige Erkenntnisse für die Verbesserung der Arbeit zu ziehen.

Mehr als dürftig ist auch die Gesetzesbegründung, warum die zahlreichen, zuletzt 2021 eingebrachten konkreten Verbesserungsvorschläge der VhU nicht aufgegriffen werden könnten:

„Den Forderungen der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände e.V. konnte ebenfalls nicht gefolgt werden. Zum Teil sind sie mit der Organisationshoheit der Träger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und Dritten Buch Sozialgesetzbuch nicht in Einklang zu bringen, zum Teil sind sie nicht umsetzbar, weil im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch bereits anderweitige Regelungen getroffen wurden oder aber die gewünschte Regelung sich auch auf die Arbeitsagentur beziehen sollte, was insoweit mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes ausscheidet.“

Aus dieser Begründung ist eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den konkreten Vorschlägen nicht ansatzweise erkennbar.

Die pauschale Ablehnung von Verbesserungsvorschlägen kann aber auch aus folgenden Gründen nicht überzeugen: das Sozialministerium hat die Rechts- und Fachaufsicht über die kommunalen Jobcenter und sollte daher ein großes Interesse an möglichst umfassenden Daten zur Leistungsfähigkeit als Basis für die Fachgespräche mit den kommunalen Jobcentern haben. Doch selbst falls einzelne Forderungen nach Strukturveränderungen einer Landesgesetzgebung nicht zugänglich sein sollten (was dann im Einzelfall zu begründen wäre), müssen die Verbesserungsvorschläge sachlich geprüft und ggf. im Rahmen der Fachaufsicht bzw. Zielvereinbarungsgesprächen implementiert werden. Im Vordergrund muss immer ein optimales Fördern und Fordern von Arbeitslosen durch die Jobcenter stehen. Eine Verhinderungsmentalität ist nicht geeignet, strukturelle Verbesserungen zu erzielen.

Bei dieser Verweigerungshaltung gegenüber Erkenntnissen und Möglichkeiten für eine bessere Betreuung und Vermittlung von Arbeitsuchenden darf es nicht bleiben. Insbesondere auch deshalb, weil die Vermittlungsleistungen von kommunalen Jobcentern einer kritischen Begleitung bedürfen. Die Arbeitsmarktforschung zeigt, dass kommunale Jobcenter 10 Prozent weniger Arbeitslose in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln als Jobcenter in Form gemeinsamer Einrichtungen aus Kommune und Arbeitsagentur (bei ansonsten gleichen Voraussetzungen und gleicher Vermittlungsqualität). Hingegen weisen kommunale Jobcenter Arbeitslosen mehr Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs“) zu (vgl. Mergele/Weber, ifo Schnelldienst 2/2020). Auch gibt es starke Hinweise auf geringere Rehabilitations-Anstrengungen in kommunalen Jobcentern (vgl. die Antwort des Sozialministers vom 15.07.2022 auf eine Kleine Anfrage, Drs. 20/8651: in kommunalen Jobcentern ist der Anteil der Rehabilitanden nur gut ein Drittel so hoch wie in gemeinsamen Einrichtungen).

Diese Befunde müssten in Hessen als „Optionsland Nr. 1“ eigentlich besonderer Grund sein, sich Kenntnis über die Sachlage zu verschaffen und Verbesserungsmöglichkeiten auszuloten. In keinem anderen Bundesland gibt es einen höheren Anteil von kommunalen Jobcentern, nämlich 16 von insgesamt 26. Die übrigen zehn Jobcenter sind jeweils gemeinsame Einrichtungen von Kommunen und Arbeitsagenturen.

Die hessische Wirtschaft sucht gerade im immer stärker werdenden demografischen Wandel viele motivierte und qualifizierte Mitarbeiter, auch aus dem Reservoir der rund 120.000 Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II. Deshalb begleitet die VhU die wichtige Arbeit der Jobcenter mit konstruktiven Verbesserungsvorschlägen. Aus diesem Grund erweitern und bekräftigen wir unsere Forderungen:

  1. Völlige Transparenz über die Arbeit der kommunalen Jobcenter herstellen
  2. SGB-II-Wirkungsforschung durch umfassende Landesstatistik verbessern
  3. Zielvereinbarungen zwischen Ministerium und Kommunen veröffentlichen
  4. Arbeit von Sozial-, Jugend- und Gesundheitsämtern mit Jobcenter verzahnen
  5. Kommunale Arbeitsvermittlung durch abgestimmtes Gesamtkonzept professionalisieren
  6. Vetorecht für Sozialpartner bei Ein-Euro-Jobs prüfen
  7. Eigenbetriebe und Tochtergesellschaften der Kommunen als SGB-II-Maßnahmeträger auf den Prüfstand
  8. Jobcenter-Beiräte effizienter aufstellen
  9. Bessere Zusammenarbeit von Jobcentern und Arbeitsagenturen
  10. Gemeinsame Jugendberufsagenturen
  11. Servicestellen für Arbeitgeber einrichten
  12. Datenaustausch zwischen kommunalen Jobcentern und Arbeitsagenturen ermöglich

Im Einzelnen

  1. Völlige Transparenz über die Arbeit der kommunalen Jobcenter herstellen

 

An § 8b Abs. 1 Hessisches OFFENSIV-Gesetz sollen folgende neue Sätze 2-4 angefügt werden:

„Jeder zugelassene Kommunale Träger erstellt und veröffentlicht mindestens einmal jährlich eine Bilanz über die von ihm erbrachten Dienst-, Geld- und Sachleistungen. Die Erfolgsbilanzen müssen einen direkten Leistungsvergleich zu den Jobcentern in gemeinsamer Einrichtung ermöglichen und sollen Aufschluss über den Mitteleinsatz, die geförderten Personengruppen und die Wirksamkeit der Förderung geben. Die Erfolgsbilanz ist vor ihrer Veröffentlichung mit dem örtlichen Beirat zu erörtern."

Begründung: Ein effektiver Leistungsvergleich ist nur dann möglich, wenn offengelegt wird, welche Mittel das Kommunale Jobcenter mit welchem Erfolg einsetzt. Dann entsteht ein wichtiger Antrieb für das Kommunale Jobcenter, seine Leistung zu steigern und die Arbeit systematisch zu verbessern. Die Voraussetzungen für eine solche, für den Bürger verständliche Bilanz sollten inzwischen geschaffen worden sein. Seit 2011 ist zwar ein vierteljährlicher Leistungsvergleich der örtlichen Aufgabenwahrnehmung gesetzlich vorgeschrieben (§ 48a SGB II), der auch im Internet veröffentlicht ist (sgb2.info.de). Trotz zwischenzeitlicher Verbesserungen ist diese Veröffentlichung allerdings lediglich für Verwaltungsspezialisten verständlich und nicht für die Öffentlichkeit. Zudem erfolgt in Hessen bisher kein direkter Leistungsvergleich zwischen kommunalen Jobcentern und Jobcentern als gemeinsamen Einrichtungen (vgl. die Antwort des Sozialministers vom 25.05.2022 auf eine Kleine Anfrage, Drs. 20/5482). Dies wäre jedoch sinnvoll, um die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Organisationsform zu beleuchten. Wenn eine Optionskommune dauerhaft nicht mindestens durchschnittlich leistungsfähig ist, muss das Hessische Sozialministerium prüfen, ob es den Widerruf der Zulassung beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales anregt (§ 6a Abs. 6 SGB II).

  1. SGB-II-Wirkungsforschung durch umfassende Landesstatistik verbessern
  • 11b Hessisches OFFENSIV-Gesetz sollte beibehalten und durch folgende neue Sätze 3 und 4 ergänzt werden:

„Die zu übermittelnden Daten geben insbesondere Auskunft über Integrationsquote, Mittelverwendung, kommunale Leistungen, Verdachtsfälle und Anzeigen von Leistungsmissbrauch, Sanktionsquoten, Arbeitsunfähigkeits-Quoten, Art, Anzahl und Quoten von Rehabilitations-Maßnahmen für Leistungsbezieher sowie Personalstärke je Aufgabenbereich. Die Statistik ist von dem Hessischen Statistischen Landesamt jährlich zu erstellen und zu veröffentlichen.“

Begründung: Hessen nimmt mit einem Anteil von über 60 % kommunalen Jobcentern eine Sonderrolle unter den Bundesländern

ein. Gerade wegen der Vielzahl an kommunalen Jobcentern besteht in Hessen die Notwendigkeit, deren Aufgabenerfüllung laufend auf Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit hin zu evaluieren. Dies gelingt am besten mit einer statistischen Erfassung.

Die derzeitige Fassung des § 11b OFFENSIV-Gesetz nennt als eine Art „Statistik-Generalklausel“ für die Datenerhebung das wichtige Ziel der Wirkungsforschung. Die Vorschrift ist jedoch unbestimmt mit Blick auf die Art der zu erhebenden Daten. Hinzu kommt, dass die Vorschrift in den vergangenen Jahren nicht mit Leben gefüllt wurde: Die eigentlich vom Statistischen Landesamt zu erstellende „Geschäftsstatistik“ ist – soweit ersichtlich – entgegen der „Soll-Vorschrift“ aus § 11b OFFENSIV-Gesetz nie erstellt worden. In einer Antwort des Sozialministers vom 01.11.2022 auf eine Kleine Anfrage (Drs. 20/9311) heißt es: „Die Landesregierung erhebt selbst keine statistischen Daten zum Bereich des Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II)“. Die nun beabsichtigte Abschaffung des § 11b OFFENSIV-Gesetz erweckt den Eindruck, die Landesregierung habe an einer transparenten Erhebung und Veröffentlichung von Leistungsdaten hiesiger Jobcenter wenig Interesse. Jobcenter müssen jedoch – wie andere öffentlich finanzierte Institutionen auch – über Aufgabenerledigung und Mittelverwendung transparent berichten. Das Argument, entsprechende Leistungsdaten würden von den Jobcentern bereits an die Bundesagentur für Arbeit (BA) übermittelt, verfängt nicht: denn die an die BA zu übermittelnden Daten sind nicht umfassend. So fehlen beispielsweise Angaben zu (Verdachts-)Fällen von Leistungsmissbrauch. § 11b OFFENSIV-Gesetz kann und muss jedoch ­­– wie vorgeschlagen – weitere landesspezifische Kennzahlen nutzen, die zur Wirkungsforschung weitergehende Schlussfolgerungen zulassen. Hierin liegen Zweck und Vorteil einer Landesvorschrift.

Ansprech­partner

VhU, Landesgeschäftsstelle
Dr. Stefan Hoehl

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

069 95808-200