KMUs bei Schwerbehinderten­beschäftigung unterstützen

Viele kleine und mittlere Unternehmen schaffen es nicht, auch nur einen einzigen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu beschäftigen

01.03.2023 7 Min. Lesezeit

Zusammenfassung

Das Ziel mehr Schwerbehindertenbeschäftigung im Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“ ist ganz sicher richtig. Aber die geplante massive Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen (sog. Nullbeschäftiger), schadet dem Gedanken der Inklusion, ist sogar kontraproduktiv und damit untauglich.

Denn während große Unternehmen die Schwerbehinderten-Beschäftigungsquote regelmäßig erfüllen und übererfüllen, schaffen es viele kleine und mittlere Unternehmen nicht, auch nur einen einzigen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu beschäftigen. Die Gründe hierfür sind vielfältig, haben aber nichts mit einer angeblich fehlenden Einstellungsbereitschaft zu tun. So sind in kleineren Betrieben die Einsatzmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen wegen der geringen Arbeitsplatzzahl schlichtweg geringer. Und nicht jeder (schwerbehinderte) Mitarbeiter kann auf jedem Arbeitsplatz eingesetzt werden. Anforderungen des Arbeitsplatzes und Bewerberprofil müssen aber zueinander passen, und dies ganz unabhängig von der Frage der Schwerbehinderteneigenschaft. Zudem erhalten kleine und mittlere Unternehmen nur wenige Bewerbungen von geeigneten Kandidaten mit Behinderungen. Schließlich gibt es aber auch überhaupt nicht genügend potentielle schwerbehinderte Bewerber. Denn hessenweit sind rund doppelt so viele Pflichtarbeitsplätze unbesetzt wie es schwerbehinderte Arbeitslose gibt.

Trotz dieser Hürden ist die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen in Hessen auf einem guten Weg: Die Zahl schwerbehinderter Menschen bei beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern (also mit mind. 20 Arbeitsplätzen) ist im Laufe von nur 12 Jahren von rund 88.000 auf rund 109.000 gestiegen. Hinzu kommen noch über 17.500 schwerbehinderte Beschäftigte bei kleinen Arbeitgebern ohne Beschäftigungspflicht. Mit einer Beschäftigungsquote von 4,6 Prozent (2020) liegen private Arbeitgeber in Hessen im Bundesländervergleich auf einem Spitzenplatz, während es zugleich immer weniger schwerbehinderte Arbeitslose gibt: die Zahl bewegt sich mit unter 11.000 Personen (2022) hessenweit auf einem 10-Jahres-Tief.

Für eine weiter steigende Beschäftigungsquote taugt keine Sanktionierung kleinerer Betriebe, sondern es braucht vor allem mehr Beratung über Unterstützungsmöglichkeiten durch die Reha-Träger, gezielte Vermittlung, Begleitung und eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure.

Im Einzelnen

Kleinere Unternehmen nicht zu Unrecht bestrafen
Die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt eindeutig: je kleiner der Betrieb, desto geringer ist regelmäßig auch die Schwerbehinderten-Beschäftigungsquote. Während große Unternehmen die 5-Prozent-Quote oft übererfüllen, sind die Ursachen für die geringere Beschäftigungsquote bei kleineren Betrieben vielschichtig und nicht mit einer angeblich fehlenden Beschäftigungsbereitschaft zu erklären. Denn kleine Betriebe stehen vor ganz anderen Herausforderungen als größere Unternehmen. In größeren Unternehmensstrukturen sind die Möglichkeiten, schwerbehinderten Menschen einen passenden Arbeitsplatz anbieten zu können und ggf. notwendige Unterstützungsmaßnahmen zu organisieren (z. B. besonders eingerichtete Arbeitsplätze), erheblich besser. Demgegenüber sind in kleinen Unternehmensstrukturen die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten für schwerbehinderte Menschen tendenziell erheblich geringer. Nicht jeder (schwerbehinderte) Arbeitnehmer kann auf jedem Arbeitsplatz tätig werden. Die Passgenauigkeit ist aber entscheidend, nicht das Vorhandensein einer Behinderung. Hinzu kommt, dass kleine Unternehmen regelmäßig keine personellen Ressourcen haben, die sich speziell etwa um Gesundheitsbelange der Beschäftigten kümmern können. Oftmals sind auch die umfangreichen Unterstützungsmöglichkeiten durch Integrationsamt und Reha-Träger nicht bekannt. Eine massive Erhöhung der Ausgleichsabgabe auf bis zu 720 Euro für sog. Nullbeschäftiger würde sich daher im Wesentlichen als Sanktion kleiner und mittlerer Unternehmen auswirken, dabei aber nichts zur Verbesserung tatsächlich bestehender Integrationshindernisse beitragen. Im Gegenteil: Die massive Anhebung – und teilweise Verdoppelung – der Ausgleichsabgabe für sog. Nullbeschäftiger würde den falschen Eindruck verstärken, dass Schwerbehindertenbeschäftigung mit Sanktionen erzwungen werden muss.

Rekrutierung von genügend Schwerbehinderten faktisch unmöglich
Die gezielte Anwerbung von Menschen mit Behinderungen ist auch alles andere als einfach und im gesetzlich geforderten Umfang sogar schlicht unmöglich. Fast 80 Prozent der Unternehmen, die Ausgleichsabgabe zahlen müssen, benennen als Grund hierfür eine zu geringe Zahl an geeigneten Bewerbern mit Schwerbehinderungen (IAB-Kurzbericht 11/22). Eine gezielte Rekrutierung wird auch dadurch erschwert, dass Arbeitgeber bei der Einstellung nicht nach dem Vorliegen einer Behinderung fragen dürfen und viele Behinderungen nicht sichtbar sind. Dies bedeutet, dass auch Unternehmen zur vierten Staffel herangezogen würden, die tatsächlich unentdeckt schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Hinzu kommt, dass die Verteilung von schwerbehinderten Menschen auf die verschiedenen Regionen Hessens keinesfalls gleichförmig ist. Dies kann den „Matching-Prozess“ zwischen Arbeitgeber und passendem schwerbehindertem Arbeitnehmer gerade in dünn besiedelten und ländlichen Regionen erschweren (ungeachtet etwaiger Mobilitätseinschränkungen). Entscheidend für eine Stellenbesetzung ist aber immer, dass Menschen, Arbeitsplatz und Arbeitgeber zusammenpassen. Schließlich zeigt ein Vergleich der Arbeitslosenzahlen und der nicht besetzten Pflichtarbeitsplätze, dass schon allein rechnerisch längst nicht jeder (abgabepflichtige) Pflichtarbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann: während die Arbeitgeber für rund 22.000 „unbesetzte“ Pflichtarbeitsplätze zur Kasse gebeten werden, gibt es hessenweit weniger als 11.000 schwerbehinderte Arbeitslose. Richtig ist zwar, dass die Arbeitslosenquote bei schwerbehinderten Menschen deutlich erhöht ist. Hier ist aber zu bedenken, dass 46 Prozent der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen 55 Jahre oder älter sind, während bei nicht schwerbehindert Arbeitslosen nur rund jeder Fünfte (22 Prozent) in diese Altersgruppe fällt (Bundesagentur für Arbeit 2021). Für rentennahe Jahrgänge ist die Arbeitsvermittlung jedoch erfahrungsgemäß allgemein erschwert, auch wenn die Vermittlung in Arbeit auch für Ältere in den letzten Jahren spürbar besser gelingt.

Fachkräftebedarf für mehr Schwerbehindertenbeschäftigung nutzen
Eine immer höhere Zwangsabgabe bei Nichterfüllung der Beschäftigungsquote geht an den tatsächlichen Beschäftigungshindernissen vorbei und hilft Betrieben nicht, mehr geeignete schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Zielführender ist es stattdessen, das erhebliche Eigeninteresse der Unternehmen gerade in Zeiten des Fachkräftemangels an der Beschäftigung qualifizierter Mitarbeiter mit oder ohne Behinderung zu adressieren. Die betriebliche Praxis zeigt, dass schwerbehinderte Menschen – auf dem richtigen Arbeitsplatz eingesetzt und falls erforderlich mit technischen Hilfsmitteln – leistungsfähige Mitarbeiter sind. Schwerbehinderte Menschen sind somit für Unternehmen eine wichtige Ressource, denn sie stellen nicht nur rund 10 Prozent der hessischen Gesamtbevölkerung, sondern sind tendenziell auch besser qualifiziert als Menschen ohne Behinderung (IW Köln 2021). Zudem kann die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auch Vorbildcharakter für andere Betriebe haben und damit zu einer positiven Außendarstellung des Unternehmens beitragen.

Reha-Träger müssen Betriebe besser unterstützen
Für mehr schwerbehinderte Menschen in Arbeit braucht es – vor allen Dingen durch die Reha-Träger – mehr Beratung, gezielte Vermittlung, Begleitung und eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure. Insbesondere müssen Betriebe besser über die vielen bereits vorhandenen Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten informiert und beraten werden. Diese Aufgaben sollen von den jüngst geschaffenen „einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber“ (§ 185a SGB IX) maßgeblich unterstützt werden. Die Einrichtung von Einheitlichen Ansprechstellen ist zu begrüßen, denn die Landschaft der Unterstützungsbehörden ist aus Sicht von Unternehmen und schwerbehinderten Menschen unübersichtlich: Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft, Arbeitsagentur, Integrationsfachdienste und Integrationsamt kommen in Betracht, um nur die wichtigsten zu nennen. Die Einheitlichen Ansprechstellen sollen neben einer besseren Beratung und Information die Arbeitgeber von Bürokratie rund um die Beschäftigung schwerbehinderter Mitarbeiter entlasten. Denn die Suche nach dem richtigen Ansprechpartner unter der Vielzahl der Reha-Träger sowie zeitraubende Behördengänge können gerade für kleinere Betriebe zu einem unüberwindlichen Hindernis werden.

Hintergrund:

Beschäftigungspflicht
Private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen müssen auf mindestens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen (§ 154 SGB IX). Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, müssen sie für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz für schwerbehinderte Menschen eine Ausgleichsabgabe entrichten (§ 160 SGB IX). Die Ausgleichsabgabe ist derzeit noch in 3 Stufen gestaffelt und beträgt – je nach Beschäftigungsquote – zwischen 140 Euro und 360 Euro monatlich. Nach dem Gesetzentwurf („Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts“) soll eine neue Staffel der Ausgleichsabgabe in Höhe von bis zu 720 Euro für Arbeitgeber eingeführt werden, die trotz Beschäftigungspflicht keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen („vierte Staffel“).

Ansprech­partner

VhU, Landesgeschäftsstelle
Dr. Stefan Hoehl

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

069 95808-200