Was für ein langes und durchgehendes Erwerbsleben zu tun ist

Bildung und Gesundheit stärken, beschäftigungsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen

Aktualisiert am: 09.05.2024 7 Min. Lesezeit

Einführung

Starke Belegschaften mit qualifizierten Mitarbeitern, die durchgehend bis ins Rentenalter zum Unternehmenserfolg beitragen, sind für die hessischen Unternehmen unverzichtbar. Auch wegen des immer weiter steigenden Bedarfs an Fachkräften und des demografischen Wandels hin zu immer mehr Älteren in der Gesellschaft hat die hessische Wirtschaft ein großes Interesse daran, dass die Rahmenbedingungen für noch mehr durchgehende Erwerbsbiografien verbessert werden.

Angesichts von abzulehnenden Forderungen nach höheren Beitragssätzen für die gesetzliche Rentenversicherung hat die VhU im Mai 2017 in einem rentenpolitischen Grundsatzpapier gefordert, alle drei Säulen der Altersvorsorge zu stärken. Eine Hauptforderung ist die tatsächliche Verlängerung der Lebensarbeitszeit und die konsequente Umsetzung der Rente mit 67. Wer durchgehend bis ins höhere Rentenalter erwerbstätig ist, erwirbt nicht nur erhöhte Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern schafft sich selber auch finanzielle Spielräume, um zusätzlich betrieblich und privat vorzusorgen. Dabei ist ein späterer Eintritt in die Rente nicht nur möglich, sondern oftmals bereits Realität. Denn das tatsächliche Rentenzugangsalter ist zuletzt innerhalb von nur 15 Jahren um durchschnittlich gut anderthalb Jahre gestiegen.

Unverzichtbare Grundvoraussetzung für ein langes und durchgehendes Erwerbsleben ist die Gesundheit der Arbeitnehmer, um möglichst auch im Alter noch erwerbstätig sein zu können. Denn gesundheitliche Probleme führen häufig dazu, dass Arbeitnehmer ihre Erwerbstätigkeit für längere Zeit unterbrechen, oder sogar ganz beenden müssen. Über 14.000 Personen gingen im Jahr 2016 in Hessen in die Erwerbsminderungsrente. Zum Vergleich: Bei der Altersrente waren es im selben Jahr 50.000 Personen (DRV Bund: Rentenversicherung in Zeitreihen 2016). Mehr als 40 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Empfänger haben zudem laut eigener Einschätzung schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen (IAB-Kurzbericht 23/2014). Neben der Gesundheit spielt die Qualifikation eine entscheidende Rolle. Ein höheres Qualifikationsniveau erhöht die Chancen auf Beschäftigung erheblich: Höherqualifizierte weisen in allen Altersgruppen und damit auch in der Gruppe der

Älteren höhere Beschäftigungs- und niedrigere Arbeitslosenquoten auf (Ulrich Walwei, IAB: „Ältere Beschäftigte: Hoffnungsträger im demografischen Wandel?“, in: Deutsche Rentenversicherung, Ausgabe 1/2017, S. 42). Dies unterstreicht die hohe Bedeutung von Investitionen in die Bildung: in Schule, Ausbildung und Weiterbildung.

Mit dem vorliegenden Positionspapier soll gezeigt werden, dass längere Erwerbsbiografien mit möglichst wenigen Unterbrechungen möglich und nötig sind. In erster Linie muss hierzu der Bundesgesetzgeber bessere Rahmenbedingungen schaffen sowie die Rehabilitationsträger koordiniertere und bessere Leistungen erbringen.

Zusammenfassung – 5 Bausteine für ein langes Erwerbsleben

  1. Gute Bildung von Anfang an

    Bereits im frühkindlichen Alter müssen die Weichen für jedes Kind in die richtige Richtung gestellt werden. Vor allem die Vermittlung von Sprachkompetenz schafft die Grundlagen für den schulischen und später auch den beruflichen Erfolg von Kindern. Im Laufe der Schullaufbahn müssen dann Schritt für Schritt alle Kulturtechniken und Kompetenzen für eine gelingende Anschlussbildung, ob in Ausbildung oder Studium, aufgebaut werden.

    Die Hochschulbildung muss flexibel auf sich ändernde Anforderungen der Arbeitswelt angepasst werden. Studienabschlüsse müssen in jedem Fall eine ausreichende Breite in der Berufsbefähigung gewährleisten. Der immer noch zu hohe Anteil bei den Studienabbrechern sollte durch Orientierungsangebote und eine permanente Studienberatung weiter reduziert werden.

    Der dualen Berufsausbildung kommt eine besondere Bedeutung zu. Denn sie verbindet den Erwerb von theoretischen und praktischen Kenntnissen und zielt durch den intensiven Lernprozess im Arbeitseinsatz auf die Entwicklung der Handlungsfähigkeit ab.

    Das Lernen darf nicht mit dem Eintritt ins Berufsleben enden. Lebenslanges Lernen im und neben dem Beruf ist eine wichtige Voraussetzung, um bis ins Rentenalter mit sich verändernden Anforderungen an die Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen umgehen zu können.

    Gesundheit erhalten bzw. wiederherstellen

    Jeder Bürger ist zuvorderst für seine eigene Gesundheit verantwortlich. Der Staat kann lediglich in einem engen Rahmen für eine Lebensumgebung sorgen, von der keine Gefahren für die Gesundheit ausgehen. Dasselbe gilt für die Arbeitgeber, die sicherstellen müssen, dass die Gesundheit ihrer Mitarbeiter nicht durch die Arbeit geschädigt wird. Viele Unternehmen engagieren sich jedoch auch freiwillig für eine noch weitergehende Förderung der Gesundheit ihrer Arbeitnehmer, die zielgerichtet anhand der Bedürfnisse der Mitarbeiter und des Unternehmens erfolgt. Allgemeingültige Konzepte sind deshalb nicht möglich. Bei Unfällen oder Erkrankungen ist schnelles Handeln gefragt, um Gesundheit und Beschäftigungsfähigkeit wieder herzustellen.

    Rahmenbedingungen für einen hohen Beschäftigungsstand

    Günstig für möglichst viele durchgehende Erwerbsbiografien und wenig Zeiten der Arbeitslosigkeit ist ein hoher Beschäftigungsstand, denn hiervon profitieren alle Gruppen am Arbeitsmarkt. Deshalb sollte die Belastung des Faktors Arbeit mit Sozialversicherungsbeiträgen auf maximal 40 % begrenzt und eine Überregulierung von Arbeitsverhältnissen vermieden werden.

    Die flexiblen Beschäftigungsformen wie Befristungen, Teilzeit, Zeitarbeit oder flexible Arbeitszeitmodelle bieten auch denjenigen einen Zugang zum Arbeitsmarkt, die nur über wenige Qualifikationen oder

    Berufserfahrung verfügen, oder aus privaten Gründen (z. B. aufgrund mangelnder Betreuungsinfrastruktur) nicht in Vollzeit arbeiten können oder wollen. Niedrigqualifizierte profitieren außerdem von zunächst niedrig entlohnten Jobs, ohne die ihnen der Einstieg in Arbeit in den allermeisten Fällen nicht möglich wäre.

    Phasen der Arbeitslosigkeit sollten so kurz wie möglich sein. Deshalb darf bei Arbeitslosigkeit nicht der Bezug von Leistungen im Mittelpunkt stehen, sondern vor allem die Frage, wie der Arbeitslose so schnell wie möglich wieder eine Beschäftigung aufnehmen kann. Wichtigste Voraussetzung ist, dass der Leistungsempfänger selbst eine hohe Motivation besitzt, eine Arbeit aufzunehmen. Förderung sollte vor allem an den individuellen Vermittlungshemmnissen wie fehlenden Qualifikationen oder gesundheitlichen Problemen ansetzen und dabei helfen, diese so gut wie möglich abzubauen.

    Arbeit in Vollzeit

    Eine zentrale Rolle für einen schnellen (Wieder-) Einstieg in Beschäftigung kommt auch den Arbeitsagenturen und Jobcentern zu. Möglichst viele Personen sollten in Arbeit, wann immer möglich in eine Vollzeittätigkeit, vermittelt werden. Dies gilt insbesondere für die immer noch zu hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen, aber auch für die sogenannten „Aufstocker“, also Personen, deren Tätigkeit nicht ausreicht, um ihre Existenz zu sichern. In den allermeisten Fällen, weil sie nur in Teilzeit oder einer kleinen selbstständigen Tätigkeit arbeiten.

    Beschäftigungsbarrieren abbauen

    Ältere Arbeitnehmer sind aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Knowhows wichtige Fachkräfte für die hessischen Unternehmen. Gut gemeinte Schutzregelungen wie z. B. ein übertriebener Kündigungsschutz und eine in vielen Fällen unsichere Rechtslage – wie etwa bei der befristeten Beschäftigung von Rentnern – behindern jedoch häufig die (weitere) Beschäftigung.

    Im Arbeitsrecht sowie in der Arbeitsförderung sollten alle Beschäftigungsbarrieren für die Einstellung sowie Frühverrentungsanreize abgebaut werden.

    Die Zahl schwerbehinderter Menschen in Beschäftigung ist in den letzten zehn Jahren in Hessen von 90.000 auf 110.000 gestiegen. Für noch mehr Schwerbehindertenbeschäftigung bedürfen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor allem umfassender Beratung über die zahlreichen Fördermöglichkeiten. Um die bestmögliche Förderung zu gewährleisten, sollten Maßnahmen und Projekte zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

    Öffentliche Beschäftigung kann zwar in einem engen Rahmen dazu dienen, Arbeitslose an den Arbeitsmarkt heranzuführen und ihre Arbeitsfähigkeit und –willigkeit zu testen. Sie sollte jedoch nur mit allergrößter Vorsicht eingesetzt werden, damit das Ziel erster Arbeitsmarkt nicht aus dem Blick gerät. Außerdem ist öffentliche Beschäftigung teuer und kann bestehende Arbeitsplätze am ersten Arbeitsmarkt gefährden.

Weiterlesen als Download ...

Ansprech­partner

VhU, Landesgeschäftsstelle
Dr. Stefan Hoehl

Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik

069 95808-200