Hessisches Schulgesetz

Die VhU sieht die Notwendigkeit für den Gesetzentwurf zur Novellierung des Hessischen Schulgesetzes, erkennt jedoch weiteren Änderungsbedarf - Stellungnahme zu Drs. 20/8760

Aktualisiert am: 24.04.2024 8 Min. Lesezeit

Hintergrund

Die Landesregierung sieht eine Novellierung des Hessischen Schulgesetzes insbesondere vor dem Hintergrund der enthaltenen befristet geltenden Regelungen i. Z. m. der Corona-Virus-Pandemie, aufgrund der zunehmenden Digitalisierung an Schulen und aufgrund von neuen Anforderungen an ein zeitgemäßes Bildungssystem als erforderlich an. Der Kulturpolitische Ausschuss hat in diesem Zusammenhang die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) um Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Landesregierung gebeten. Hierfür danken wir und kommen der Aufforderung
sehr gerne nach.

Die VhU sieht die Notwendigkeit für den Gesetzentwurf, der in Bezug auf die Streichung der befristet geltenden Regelungen i. Z. m. der Corona-Virus-Pandemie unstrittig ist. Darüber hinaus bilden auch aus Sicht der VhU sowohl die voranschreitende Digitalisierung als auch die veränderten Anforderungen an das Bildungssystem wichtige Novellierungsanlässe. Insofern befürwortet die VhU den Entwurf prinzipiell.

Im Einzelnen

Bei folgenden Themen wird von der VhU jedoch weiterer Klärungs- und Handlungsbedarf gesehen:

  • Schutzkonzept gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch – § 3 HSchG
    Die VhU begrüßt die für jede Schule vorgeschriebene Erstellung eines Schutzkonzeptes gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) weist jedoch  darauf hin, dass Kinder und Jugendliche nur dann sinnvoll von Fachkräften begleitet werden können, wenn diese „wissen, welchen Gewaltformen Minderjährige im digitalen Raum ausgesetzt sein können“ . Da dies nicht bei allen Lehrkräften der Fall sein dürfte und da die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen heute zu großen Teilen digital geprägt sind, empfiehlt sich, den digitalen Raum ausdrücklich ins Konzept einzubeziehen.

    Die VhU schlägt daher folgende sprachliche Ergänzung vor: „Jede Schule erstellt ein Schutzkonzept gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch, das auch den digitalen Raum umfasst“.
  • Besondere Bildungs- und Erziehungsaufgaben der Schulen – § 6 HSchG
    Die geplante Aufnahme von „Finanzbildung“ in die besonderen Bildungs- und Erziehungsaufgaben ist sehr zu begrüßen. Aus Sicht der VhU sind jedoch weitere verwandte Bereiche, z. B. Entrepreneurship Education, elementar. Angeregt wird daher eine Aufnahme des umfassenderen Begriffs der „ökonomischen Bildung“. Dies entspricht auch dem Verständnis der Kultusministerkonferenz, nach dem „ökonomische Bildung „unverzichtbarer Bestandteil der Allgemeinbildung ist und (…) somit zum Bildungsauftrag“ gehört.

    Damit eine angemessene Umsetzung erfolgen kann, ist zudem eine zügige Aufnahme in die Kerncurricula nach § 4 Abs. 1 HSchG nötig; insbesondere bezogen auf das Unterrichtsfach „Politik und Wirtschaft“ muss eine hinreichende Verankerung von Wirtschaftsanteilen stattfinden, damit diese neue besondere Bildungs- und Erziehungsaufgabe auch erfüllt werden kann.
  • Zulassung digitaler Lehrwerke und Lehr-/Lernprogramme – § 10 HSchG
    Die Aufnahme von digitalen Lehr- und Lernprogrammen i. Z. m. der Zulassung von Schulbüchern und digitalen Lehrwerken ist erfreulich. Sie entspricht den Anforderungen an eine zeitgemäße (digitale) Bildung und unterstützt die erforderliche Qualitätssicherung für derartige Medien.

    Dem aktuellen Gesetzentwurf nach stehen jedoch alle digitalen Lehr- und Lernprogramme unter Prüfungsvorbehalt des Kultusministeriums. Dies scheint vor dem Hintergrund der Unterrichtspraxis nicht zielführend. Die VhU spricht sich daher dafür aus, nur solche digitalen Lehr- und Lernprogramme unter Prüfungsvorbehalt zu stellen, die dazu bestimmt sind – analog zu Schulbüchern – über einen längeren Zeitraum genutzt zu werden. Die VhU regt daher an, hier zum ursprünglichen Entwurfstext aus der Regierungsanhörung zurückzukehren und in Abs. 2 Satz 1 wie folgt zu ergänzen: „Schulbücher und digitale Lehrwerke sowie Lehr- und Lernprogramme nach Abs. 1 Satz 2 …“.

    Wünschenswärt wäre hingegen eine „Positivliste“ für solche digitale Anwendungen, die für kürzere Zeiträume genutzt werden und die nicht unter die angeregte Zulassungsregelung fallen. Dies wäre aus Sicht der VhU ein geeigneter Beitrag zur Unterstützung von Lehrkräften sowie zur Sicherung der Qualität, ohne jedoch die Nutzung derartiger Anwendungen einzuschränken.

    Unklar bleibt, warum nach der (auch datenschutzrechtlich) umfangreichen Prüfung durch das Hessische Kultusministerium noch Einvernehmen zur Installation entsprechender Anwendungen auf Endgeräten des Schulträgers herzustellen ist. Dieses Vorgehen verursacht unnötigen bürokratischen Aufwand und widerspricht heutigen Anforderungen digitalen und agilen Arbeitens. Zielführender wäre, dass das Kultusministerium grundsätzliches Einvernehmen mit allen Schulträgern erreicht, nach dem geprüfte digitale Lehr-/Lernprogramme bzw. Lehrwerke ohne weitere Abstimmung installiert werden können.
  • Belegverpflichtung in der gymnasialen Oberstufe – § 34 HSchG
    Die Ausweitung der Belegverpflichtung im Fach „Politik und Wirtschaft“ in der Qualifikationsphase im gymnasialen Bildungsgang ist – auch vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen – zu unterstützen.

    Die Möglichkeit einer Erfüllung der Belegverpflichtung durch das Fach Erdkunde im zweiten Jahr hingegen ist deutlich abzulehnen, da eine Vermittlung der wirtschaftsbezogenen Fachanteile so nicht mehr sichergestellt werden kann. Eine solche Regelung widerspricht zudem dem im Koalitionsvertrag der Landesregierung selbst formulierten Anspruch, „durchgängigen“ Unterricht in Politik und Wirtschaft in allen weiterführenden Schulen sicherzustellen.
  • Berufliche Fachrichtungen an Beruflichen Gymnasien – § 35 HSchG
    Die Anpassung der beruflichen Fachrichtungen an Beruflichen Gymnasien ist nachvollziehbar, aus Sicht der VhU empfiehlt sich jedoch eine Erweiterung auch um „Metalltechnik“ sowie „Holztechnik“, damit diese wichtigen Fachrichtungen zumindest perspektivisch eingeführt werden können.

  • Zusammenarbeit mit anderen Berufsbildungseinrichtungen – § 39 HSchG
    Überbetriebliche Berufsbildungsstätten übernehmen die Vermittlung von Ausbildungsinhalten, die von Ausbildungsunternehmen nicht (vollständig) abgedeckt werden können. Ihre Funktion ist in § 5 BBiG bzw. in § 26 HwO klar geregelt. In vielen Ausbildungsordnungen ist die überbetriebliche Ausbildung sogar explizit als verbindlicher Ausbildungsbestandteil verankert.

    Ausgehend hiervon begrüßt die VhU die im Gesetzentwurf neu vorgesehene Berücksichtigung von „sonstigen Berufsbildungseinrichtungen außerhalb der schulischen und betrieblichen Berufsbildung“ im Rahmen der Erfüllung des gemeinsamen Bildungsauftrages von Berufsschule und Ausbildungsbetrieb.

    Aus Sicht der VhU wäre es wünschenswert, wenn Voraussetzungen für eine verbesserte Zusammenarbeit der an der Berufsbildung beteiligten Lernorte durch eine Digitalisierung der Lernortkooperation geschaffen werden. Hierzu könnten künftig die Erkenntnisse aus der von der VhU mitfinanzierten Machbarkeitsstudie „digi_leokop“ beitragen.
  • Sitzungen in elektronischer Form – §§ 79, 99a, 102 HSchG
    Die Möglichkeit, neben Schulkonferenzen auch Prüfungsausschusssitzungen – zumindest „in begründeten Ausnahmefällen“ – weiterhin in elektronischer Form durchführen zu können, hält die VhU aufgrund der Erfahrungen i. Z. m. der Corona-Virus-Pandemie für sinnvoll, wenngleich die Eingrenzung auf „begründete Ausnahmefälle“ als verzichtbar angesehen wird.

    Auch die nun langfristig verankerte Möglichkeit, die Sitzung des Landesschulbeirats sowie die Sitzungen der Schulelternbeiräte, der Kreis- und Stadtelternbeiräte sowie des Landeselternbeirats in elektronischer Form abzuhalten unterstützt die VhU ausdrücklich, auch, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch ortsunabhängige Teilnahme so für viele Eltern erleichtert wird.

    Angesichts der verfügbaren Technologien zur digitalen geheimen Abstimmung ist jedoch unverständlich, dass die digitalen Prüfungsausschuss- und Elternbeiratssitzungen unterschiedlicher Ebenen durch die Einführung von Sperrrechten kleiner Minderheiten erschwert werden sollen.
  • Datenschutzanpassungen – §§ 82, 83a, 84 HSchG
    Die Anpassung der Bestimmungen zur Datenverarbeitung und -übermittlung in den §§ 83, 83a und 84 an die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung sind unstrittig und treffen grundsätzlich die Zustimmung der VhU.

    Deutlich zu kritisieren sind die Ausführungen in § 83 Abs. 8, nach denen eine Datenweitergabe zum Zwecke der Berufsberatung und -orientierung an die Agentur für Arbeit nur für Schülerinnen und Schüler ohne Hochschulzugangsberechtigung erfolgen soll. Entsprechende Beratungsangebote sollten grundsätzlich alle jungen Menschen ohne Anschlussperspektive erhalten. Nur so kann Chancengerechtigkeit erreicht werden. Auch der Bundesgesetzgeber sieht in § 31a Drittes Buch Sozialgesetzbuch, der die Beratung durch die Agentur für Arbeit vorschreibt, keine entsprechende Einschränkung des Personenkreises vor. Eine Ausweitung auf alle Schülerinnen und Schüler ist hier aus Sicht der VhU unabdingbar, insbesondere auch vor dem Hintergrund des Mangels an Auszubildenden und Fachkräften in vielen Branchen.

    Im Zusammenhang mit § 83a, nach dem Schulen die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen bei der Einführung digitaler Anwendungen zu gewährleisten haben, können aus Sicht der VhU die bereits erwähnten „Positivlisten“ geeignet sein, entsprechenden Schutz sicherzustellen, den Aufwand für Schulen und Lehrkräfte zu reduzieren und so die notwendige weitere Digitalisierung von Bildungsprozessen zu unterstützen.
  • Aufgabe der Schulleiterin oder des Schulleiters – § 88 HSchG
    Sinnvoll erscheint die nun vorgesehene spezifische Unterstützung von Berufseinsteigerinnen und -einsteigern durch Schulleitungen (§ 88), um einen guten Einstieg in den anspruchsvollen Beruf der Lehrkraft sicherstellen zu können.

    Im Gesamtzusammenhang der bisherigen Ausführungen sieht die VhU die zunehmende Verantwortungs- und Aufgabenfülle von Schulleitungen jedoch kritisch und hält Unterstützungsangebote und administrative Entlastung für sinnvoll. Die nun verbindliche Ermöglichung von Beratungsangeboten für Schulleitungen in Bezug auf die systematische Qualitätsentwicklung, die Fortschreibung und Umsetzung des Schulprogramms sowie für die interne Evaluation wird als ein erster guter Schritt in diese Richtung angesehen. Aus Sicht der VhU wären weitere derartige Beratungs- und Entlastungsangebote sinnvoll, perspektivisch auch eine administrative Schulleitungsebene.
  • Digitale Medien – § 162 HSchG
    Die VhU begrüßt, dass die Landesregierung die Zuständigkeiten der Medienzentren an heutige Erfordernisse anpasst und diese nun auch ausdrücklich für die Bereitstellung von digitalen Medien und Hilfsmitteln für den Unterricht zuständig werden und hierzu beraten sollen.

    Hilfreich wäre aus Sicht der VhU eine regelmäßige Erhebung bzgl. der Nutzung der bereitgestellten Medien und Hilfsmittel sowie der Inanspruchnahme der angebotenen Beratung. Ausgehend hiervon könnte das Angebot jeweils weiterentwickelt werden. Dies erfordert freilich keine rechtliche Normierung.

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