Stellungnahme vom 24.04.2023 zum Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und Bündnis 90/ Die Grünen im Hessischen Landtag für ein „Gesetz zur Stärkung der Nahmobilität in Hessen“ - Landtagsdrucksache 20/10513
Stärkung der Nahmobilität in Hessen
Zusammenfassung
Dass die Regierungsfraktionen den Initiatoren des gescheiterten Volksbegehrens und deren Vorschlag für ein faktisches „Anti-Auto-Gesetz“ eine Absage erteilt haben, ist zu begrüßen.
Gleichwohl besteht Anlass zu grundsätzlicher Kritik. Die Verwendung des Begriffs „Nahmobilität“ in diesem Gesetzentwurf ist mit Blick auf den tatsächlichen Regelungsgehalt des Gesetzes nicht zielführend und stellenweise auch irreführend.
Charakteristisch für die Nahmobilität ist nicht das Fortbewegungsmittel, sondern schon begriffsnotwendig die zu überwindende Distanz. Nahmobilität zeichnet sich – im Gegensatz zum Fernverkehr – durch kurze Wegstrecken aus, die zu Fuß, mit dem Fahrrad, aber auch alternativ mit Pkw, Bus, Lkw oder Bahnen zurückgelegt werden können.
Der Gesetzentwurf ist hier allein auf den Rad- und Fußverkehr ausgerichtet. Die weiteren Teilbereiche des Nahmobilitätsverkehrs bleiben jedoch unberücksichtigt. Schon der Name des Gesetzes suggeriert einen viel weiteren Anwendungsbereich, als es der tatsächliche Regelungsgehalt wirklich umfasst. Richtigerweise müsste das Gesetz daher wertungsfrei „Fuß- und Radverkehrsgesetz“ heißen – klar und unmissverständlich.
Auch wenn sich das Gesetz überwiegend nur in der Bereitstellung von Informations- und Kommunikationsangeboten erschöpft, offenbart es vor allem in Zusammenschau mit der Gesetzesbegründung einen grundsätzlich falschen Ansatz in der (Verkehrs)Politik.
Der Gesetzentwurf ist geprägt von der Unterstellung, dass nur „genehme Verkehre“ Teil der Mobilität sein können. Dieser Ansatz verkennt vollständig die Entscheidungsfreiheit, die der Mobilität innewohnt.
Die zentrale Aussage gleich zu Beginn im Bereich „A. Problem“ des Gesetzentwurfs, wonach der Verzicht auf „das eigene Auto“ zu einer „Verbesserung der Mobilität für alle“ führen soll, verkennt die Realität und vor allem die Anforderungen der die Mobilität erfahrenden Menschen und auch der Wirtschaft in erstaunlicher Weise:
Zum einen werden die Bedarfe zur wetterunabhängigen Beförderung von Menschen über längere Strecken sowie von kranken, alten oder gehbehinderten Menschen offenkundig übersehen, zum anderen wird der Bedarf zum Transport von Waren weitgehend ignoriert.
Verkehrsprognosen weisen darauf hin, dass Kraftfahrzeuge, und insbesondere das Auto, das Verkehrsmittel Nummer 1 für private Verkehre und für Wirtschaftsverkehre dauerhaft bleiben wird. Auch in den meisten (nicht allen) Gebieten der Städte wird der motorisierte Individualverkehr auf Jahrzehnte eine große Bedeutung haben. Und im ländlichen Raum sind die zu überwindenden Entfernungen für Verkehrsteilnehmer in der Regel so groß, dass nur eine motorisierte Fortbewegung in Betracht kommt. Auf den Punkt, selbst E-Mobilität benötigt ausreichenden Verkehrsraum.
Problematisch ist auch die Wertung im Gesetzentwurf zu Frage ‚Eigentum oder Besitz von Fahrzeugen‘: Das im zweiten Absatz im Bereich „A. Problem“ des Gesetzentwurfs genannte Ziel der „Stärkung (…) von Sharing-Angeboten“ ist eine politische Setzung, für die keine Rechtfertigung erkennbar ist. Wieso sollte sich der Staat pauschal in die Beantwortung der Frage einmischen, ob das Eigentum an Fahrzeugen (vom Elektroroller bis zum Auto) besser oder schlechter sein soll als der temporäre Besitz durch Sharing-Angebote? Wenn überhaupt sind solche Fragen in speziellen Aspekten der Flächennutzung auf kommunaler Ebene zu klären, etwa bei der Ausweisung und verkehrlichen Anbindung neuer Wohngebiete – aber nicht durch das Land. Im Übrigen verkennt dieser Ansatz die Wirklichkeit der tatsächlichen Nutzung von Sharing-Angeboten, die zur Zeit zu wesentlichen Einschränkungen gerade dieser Angebote führen.
Hingegen ist das im dritten Absatz der Problembeschreibung genannte Ziel einer Verbesserung der Verkehrssicherheit voll umfänglich zu unterstützen. Allerdings bedarf es dazu keines neuen Gesetzes.
Das im Abschnitt „B. Lösung“ genannte Anliegen, die „emissionsarme Mobilität voranzutreiben“, ist aus Sicht der Wirtschaft zwar tendenziell zu unterstützen. Allerdings darf es nicht einseitig zu einer pauschalen Verbannung von Fahrzeugen mit modernen Verbrennungsmotoren aus den Städten und Gemeinden führen, sondern es muss die Verhältnismäßigkeit bei der Regelung des Umgangs mit Emissionen gewahrt werden.
Für die hessische Wirtschaft gibt es kein per se bestes oder bevorzugtes Verkehrsmittel. Die Verkehrsmittelwahl sollte bedarfsgerecht erfolgen können. Die isoliert einseitige Bedienung von Interessen der Fahrradfahrer oder Fußgänger ist Ausdruck einer dirigistischen Verkehrspolitik. Auch deshalb findet der Gesetzentwurf keine Unterstützung.
Für Arbeitnehmer ist eine gute verkehrliche Erreichbarkeit ihrer Arbeitsstätte ein entscheidender Aspekt für die Wahl des Beschäftigungsverhältnisses. Eine gute verkehrliche Erreichbarkeit trägt damit zur Fach- und Arbeitskräftesicherung in den hessischen Unternehmen bei.
Auswirkungen von Flächenknappheit in den Ballungsräumen sowie Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Luftreinhaltung beeinflussen die verkehrliche Erreichbarkeit der Arbeitsstätten und führen zu einer Neu- oder Wegorientierung von Arbeitnehmern, weil sich das Mobilitätsverhalten der Arbeitnehmer eben nicht nur unwesentlich verändert.
Um die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsträger und Fortbewegungsmittel für die Verkehrsteilnehmer attraktiv zu machen, müssen sowohl der jeweilige Verkehrsträger an sich, als auch die Verknüpfung der Verkehrsträger untereinander so komfortabel und einfach wie möglich gestaltet sein.
Insofern ist es grundsätzlich richtig, dass mit im Gesetz auch der Rad- und Fußverkehr als zwei Arten der Fortbewegung von vielen neben dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Personenverkehr in den Blick genommen wird. Richtig ist auch die Intension, diese Mobilitätsangebote attraktiver zu gestalten.
Eine echte Stärkung des Fuß- und Radverkehrs ist mit dem vorgelegten Gesetzentwurf allerdings nicht zu erwarten, geschweige denn eine Verbesserung der Mobilität für alle. Zum ganz überwiegenden Teil wird mit dem Entwurf lediglich das ohnehin bereits praktizierte Handeln der Landesregierung auf dem Gebiet der Nahmobilität in Gesetzesform gegossen. Die Regelungen haben also meist nur deklaratorischen Charakter.
Richtigerweise wird den kommunalen Trägern nicht dirigistisch ein Verhalten vorgegeben. Die Maßnahmen zur angeblichen Stärkung der Nahmobilität erschöpfen sich überwiegend in Beratungs-, Informations- und Unterstützungsleistungen für Dritte. Grund hierfür ist, wie sich der Gesetzesbegründung an mehreren Stellen entnehmen lässt, dass die Zuständigkeiten für die Nahmobilität betreffende Maßnahmen wie beispielsweise für die Infrastruktur, das Mobilitätsmanagement oder das Parkraummanagement überhaupt nicht umfassend auf Landesebene liegen. Die gesetzliche Regelung von Beratungs-, Informations- und Unterstützungsleistungen ist nicht erforderlich und daher abzulehnen.
Darüber hinaus erweckt das Gesetz den Eindruck, dass es den Autoren vor allem um die Schaffung von Einrichtungen und neuen Personalstellen geht, die die Verkehrspolitik und das öffentliche Meinungsklima in den Kommunen und im Land in die politische gewünschte Richtung weg vom motorisierten Individualverkehr beeinflussen sollen. Das ist abzulehnen.
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